SELFHTML: wie alles begann

Erste Kontakte mit dem Internet

Im Oktober 1994 beantragte ich, weil ich mich soeben freiberuflich gemacht hatte, einen BTX-Zugang und zog los, um ein passendes Modem zu kaufen. Für den Zugang würden 1200 Baud (1,2 Byte/s) genügen, hatte ich gehört, aber es gab nur noch Modems mit 2400 Baud zu kaufen. Also begab ich mich mit diesem hoffnungslos überdimensionierten Gerät nach Hause, schloss es an den PC an, kämpfte mich durch allerlei Anleitungen und gelangte schließlich tatsächlich ins BTX-Angebot der Deutschen Telekom.

Vom Internet hatte ich natürlich schon gehört, aber ich kannte nur ein, zwei Tüftler, die ständig ihre PCs auseinander und wieder zusammenschraubten, Konfigurationsdateien editierten und sich eigentlich damit zufrieden gaben, ins Internet reinzukommen. Was man dort eigentlich Tolles sehen oder tun könnte, wussten sie auch nicht. Auf der CD-ROM zu dem Modem war unter anderem auch ein Einwählprogramm für den Online-Dienst CompuServe dabei. Ohne viel zu überlegen klickte ich darauf, und ehe ich mich versah, fand ich mich in der damals blühenden und legendären Foren-Welt des bereits seit 1969 existierenden, aber nun erst so richtig aufstrebenden Online-Anbieters wieder.

BTX vergaß ich schnell, doch in CompuServe wurde ich ebenso schnell heimisch. Endlich hatte ich auch Gelegenheit, meinen kleinen Hypertext-Interpreter, den ich mal für den DOS-Textmodus geschrieben hatte, mitsamt einiger entsprechender Hypertext-Demo-Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen. Der Erfolg war nicht schlecht, wenn auch noch mäßig. Für mehr Furore sorgte da schon ein Download-Paket mit dem Titel „Windows-Hilfen selbst erstellen“ (selfhelp.zip). Ich hatte mich im Jahr zuvor in das Erstellen von Windows-Hilfen eingearbeitet und gehörte wohl zu den ersten, die das allgemeine Hypertext-Potential darin erkannten.

Ja, die Zeit war irgendwie reif für Hypertext. An einem ungemütlichen Januarabend 1995 saß ich in einer Münchener Kneipe mit dem ahnungsvollen Namen „Forum“. Dort hörte ich an einem Nebentisch erstmals jemanden vom so genannten „World Wide Web“ reden. Er schwärmte davon, wie genial es sei, einfach selbst Informationen bereit zu stellen und beliebige andere Informationen von anderen Anbietern zu verlinken. Der Redner benutzte Begriffe wie „Homepage“, „Browser“, „Server“ und „Linklisten“ – es war alles sehr verwirrend.

In spezielleren, amerikanischen CompuServe-Foren suchte ich dann nach Download-Material zum „World Wide Web“. Ich fand zwei Browser mit den schönen Namen Mosaic und Viola. Mit diesen Browsern, so fand ich ebenfalls heraus, konnte man Klartextdateien im so genannten „HTML-Format“ öffnen. Ich hatte schon zwei Jahre zuvor etwas über SGML gelesen, was ich sehr überzeugend gefunden hatte, und war nun aufs angenehmste überrascht, dass man diesem spröden SGML anscheinend genau das zur Seite gestellt hat, was mir damals auch durch den Kopf gegangen war: nämlich eine Hypertextsprache. Wie SGML und HTML tatsächlich zusammenhingen, war mir natürlich noch nicht klar. Auf jeden Fall versuchte ich, durch Kopieren von Quelltexten aus HTML-Dateien, die ich in CompuServe fand, mich mit Syntax und Systematik der HTML-Sprache vertraut zu machen. Ein „HTML Beginner’s Guide“ in englischer Sprache, den ich ebenfalls gefunden hatte, half mir dabei. Ich ärgerte mich, dass nicht alles in HTML so realisiert war, wie ich es gemacht hätte, wenn ich hätte HTML entwerfen dürfen. Aber die Sache mit den Markup-Auszeichnungen war immerhin sehr durchdacht und faszinierte mich sofort.

SELFHTML

Genauso, wie ich es beim Erarbeiten des Know Hows zum Erstellen von Windows-Hilfen getan hatte, notierte ich mir auch diesmal alles erworbene Wissen und hielt es in einer eigenen Anleitung fest, die ich in Anlehnung an diejenige über Windows-Hilfen „HTML-Dateien selbst erstellen“ nannte, natürlich selbst im HTML-Format geschrieben. Die ZIP-Datei und die Startdatei erhielten analog den Dateivornamen „selfhtml“.

Die Fertigstellung der eigenen HTML-Anleitung sollte allerdings noch bis zum Frühsommer dauern, da ich zu jener Zeit beruflich wichtige Umbrüche erlebte, die meine Aufmerksamkeit erforderten. SELFHTML, im Februar 1995 begonnen, blieb halb fertig liegen. Ende Mai, Anfang Juni schrieb ich dann aber alles Fehlende noch schnell zusammen und veröffentlichte die Dokumentversion 1.0 am 4. Juni 1995 erstmals in einem CompuServe-Forum.

Mittlerweile war „HTML“ in den deutschsprachigen CompuServe-Foren kein Fremdwort mehr. Seit Mai 1995 konnte man über den Online-Service auch ins Internet und damit ins World Wide Web. Selbstverständlich war ich sofort mit dabei und konnte erstmals selbst in Augenschein nehmen, wovon jener unbekannte Kneipentischnachbar Monate zuvor geschwärmt hatte.

SELFHTML verbreitete sich innerhalb von CompuServer in Windeseile. In fast allen Computer-Foren wurde es binnen weniger Tage zum Download angeboten, und die Download-Zahlen schnellten alsbald in Höhen, die mir Gänsehäute verursachte: manchmal waren es über 100 Downloads am Tag! An eine eigene Website war indes nicht zu denken. Es sollte noch bis Herbst 1995 dauern, bis CompuServe seinen Mitgliedern erstmals eigene Homepages anbot. Andere Anbieter kannte ich kaum, oder es war einfach zu kostspielig. Immerhin fand sich ein netter Münchener Provider, der SELFHTML auf seinen Seiten im WWW veröffentlichte.

Klar, dass ich da sofort nachlegen musste. Ich bohrte mich durch weitere Dokumente über HTML, die ich finden konnte, unter anderem auch durch die Originalspezifikation, die ich aber fürchterlich zu lesen fand, sowie den Entwurf zu der geplanten Version 3.0 von HTML. Zu der Zeit, als ich das Dokument erweiterte, erschien auch die Version 1.1 des neuen Stars am Browser-Himmel: Netscape. Diese Produktversion interpretierte Tabellen und Hintergrundbilder. In den Räumen des Providers, der SELFHTML auf seinen Webseiten veröffentlichte, saßen verträumte Menschen vor fensterfüllenden Tabellen über Wallpaper-Motiven. Sie konnten erstmals mit Farben und Formen zaubern und das alles ganz einfach in diesem neuen Medium veröffentlichen. Sie sagten mir, dass sie erst durch SELFHTML auf diese erweiterten Möglichkeiten aufmerksam geworden wären.

Offensichtlich ging es nicht nur diesen Leuten so. Allerortens wurde das Web, wurde Netscape, wurden binnen weniger Wochen und Monate die Tabellen, die Wallpapers, und die Möglichkeiten, Grafiken geschickt einzubauen, entdeckt. Und SELFHTML war auf den Desktops dieser Pioniere ein ständiger Begleiter.