Blogs gelten aus mehreren Gründen für authentisch:
- Blogs ermöglichen schnelles, direktes Publizieren, ähnlich wie Foren. Sie fördern also spontanes Publizieren, etwa wenn der Blog-Autor gerade etwas Neues entdeckt hat oder sich über irgendwas aufregt.
- Blog-Autoren sind gezwungen, über einen dauerhaften Zeitraum hinweg einigermaßen regelmäßig etwas von sich zu geben. Aus dem vermittelten Gesamtbild tritt die Persönlichkeit des Blog-Autors unweigerlich hervor.
- Bei den meisten Blogs gibt es keine Review-Instanz, die Beiträge in Richtung Ausgewogenheit, Gefälligkeit und Standard-Medien-Deutsch trimmt. Blog-Inhalte sind meist unzensiert und ungefiltert.
Das bedeutet allerdings nicht, dass Blogs ausnahmslos authentisch sind. Denn erstens gibt es Blogs, die nicht spontan gefüttert werden, sondern eher sporadisch, und dann mit meist größeren, stilistisch ausgeformten, gründlich recherchierten Beiträgen. Zweitens gibt es Blogs, deren Autoren sich durchaus so weit im Griff haben, dass ihr Blog kein Input für die Psychoanalyse darstellt. Und drittens bloggen längst nicht mehr nur ein paar eigenbrötlerische Intellektuelle, sondern auch die Vertreter jener Medien, die aus dem Vor-Blog-Zeitalter stammen.
Auf viele, vor allem private oder in Eigeninitiative gestarteten Blogs trifft die Authentizitätsbehauptung indes durchaus zu. Doch was soll damit eigentlich gesagt werden, wenn es heißt, Blogs seien besonders authentisch? Es soll das Unverdorbene daran gelobt werden, und es wird behauptet, dass dies weniger langweilig und besonders lebensnah sei.
Doch was ist Authentizität wirklich? Sie ist als solche weder gut noch böse, weder vorteilhaft noch nachteilig. Das Authentische an sich ist kein Wert und kein Schrott. Es ist einfach nur das Unverfälschte, Ungefilterte. Und es ist eigentlich nie in Reinform zu haben, denn wer schreibt, ist nicht einfach er selbst, sondern verhält sich im Schreiben zu sich selbst — und meistens auch irgendwie zu seiner Leserschaft. Bei Bloggern ist das nicht anders: sie können eigentlich gar nicht schreiben, ohne das für ihre anvisierte Zielgruppe, ihre Stammleser oder ihre potentiellen Kommentatoren zu tun. Wer wirklich nur schreiben will, ohne auf Leser zu hoffen, braucht kein Blog, sondern Stift und Papier oder eine offline laufende Textverarbeitung.
Und wenn es denn also doch mehr oder weniger deutlich hervorscheint, das Authentische, dann sollte das allein noch kein Grund für Begeisterung sein. Denn das Authentische an sich ist wie schon gesagt wertneutral, so wie die unaufhaltsame Gegenwart und Wirklichkeit.
Damit authentische gegenüber vorverdauter Information einen Mehrwert darstellt, darf nicht nur die Produzentenseite beleuchtet werden. Um Authentisches auf sich wirken zu lassen, muss man sich als Rezipient, also als Blog-Leser, entweder von allen Denkschubladen frei machen und wie Jiddu Krishnamurti fordert zum reinen, aufmerksamen und nicht wertenden Betrachter werden. Oder man tut das Gegenteil und muss, um die authentische Flut zu bewältigen, alles erst mal in Schubladen einordnen, also die Vorverdauung selbst besorgen. Egal für welchen Weg sich der Blog-Leser entscheidet: für Beides ist ein letztlich gewisses, nicht ganz niedriges Reflexionsniveau erforderlich — wir nennen es hier „Webkompetenz“.