Tarifa

Wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber mal wieder Tarifverhandlungen führen, dann hat das, wie die Wörter schon zeigen, viel mit Tarifa zu tun. Ebenso die Tarifübersicht am öffentlichen Nahverkehrsnetz. Als der südliche Teil Spaniens im 8. Jahrhundert unter maurische Herrschaft geriet, war Tarifa eines der ersten Einfalltore. Kein Wunder, liegt es doch am allersüdlichsten Zipfel der iberischen Halbinsel, sozusagen das I-Tüpfelchen der iberischen Zitze, an der Meerenge von Gibraltar, ganze 14 Seekilomenter von Afrika entfernt. Die Küste des anderen Kontinents ist meist gut zu sehen und zum Greifen nahe. Im Jahr 710 überquerte ein “Nafri” namens Tarif ibn Malik mit seinen Milizen die Meerenge, eroberte den kleinen Ort, der den südlichsten Punkt des europäischen Festlands markiert, und ließ sich dort nieder. In der Folgezeit soll er gutes Geld damit gemacht haben, die Meerenge von beiden Seiten aus kontrollieren zu können, und jedes Schiff, dass hindurch wollte, zur Kasse zu bitten. Wenn man von Deutschland über Frankreich und durch ganz Spanien bis nach Tarifa mit dem Auto über die üblichen Strecken fährt, bekommt man dank der üppigen Mautgebühren, die man dafür zu berappen hat, einen schönen Eindruck davon, wie sich der Namensgeber von Tarifa einst bereicherte.

Vom typischen spanischen Massentourismus ist Tarifa trotz seiner exponierten Lage und seiner weißgetünchten Altstadt, die sich in ihrem andalusischen Charme wahrlich nicht verstecken braucht, bis heute allerdings verschont geblieben. Das bedeutet aber nicht, dass in Tarifa nur ein paar alte Torreros an der Bar hängen und von alten Zeiten träumen. Nein, es gibt außer Barcelona kaum einen Ort in Spanien, der hipper ist und sich jünger anfühlt als Tarifa. Und das, obwohl das Städtchen mit seinen 20.000 Einwohnern eigentlich nicht wirklich mit einer 2-Millionen-Stadt wie Barcelona vergleichbar ist. Tarifa ist fast genau so voller “Fremder” wie Mallorca oder Benidorm. Aber es sind “andere Fremde”. Begonnen hat es vor zwanzig, dreißig Jahren mit den Surfern. Denn kaum irgendwo in Europa wehen derart geile Winde wie in Tarifa. Mal vom Atlantik her, mal vom Mittelmeer her, und täglich wird gerätselt, woher der Wind in den nächsten Tagen kommen wird. Wegen dieser Wechselwinde hat Tarifa auch ein ganz eigenes Mikroklima.

Heute sind es nicht mehr die klassischen Surfer, die es nach Tarifa zieht, sondern vor allem die modernen Kite-Surfer. Der kilometerlange Atlantikstrand, der schließlich in der Düne von Bolonia endet, ist ihr Paradies. Und Tarifa hat sich eingerichtet auf diese Klientel. Nette, junge, unkomplizierte Strandbars und Tapasbars in der Altstadt, und lauter freundliche Leute. Zeitgenossen, die nicht im Gestern leben. Deshalb ist Tarifa mittlerweile außerdem das südspanische Epizentrum für digitale Nomaden geworden. Coworking-Spaces, Hostels mit speziellen Angeboten für Blogger und Startupper, die nichts als ein Notebook und eine gescheite Internetverbindung brauchen. Der Südzipfel Spaniens hat auch ein wenig Silicon-Valley-Flair, auch wenn es noch kein Google und kein Apple hervorgebracht hat bislang.

Mag aber auch sein, dass Tarifa spätestens seit 2018 nicht mehr nur ein Mekka für Kite-Surfer und digitale Nomaden ist. Denn seit Monaten gerät das Städtchen immer wieder in die Schlagzeilen, weil sich die Flüchtlingsströme Richtung Europa dieses Jahr wieder stärker auf die Route verlagert haben, die durch die Meerenge von Gibraltar führt. Tausende völlig erschöpfter Menschen, und leider auch zahlreiche Tote, sind in den vergangenen Monaten in Tarifa gelandet und an Land gespült worden. Neu ist das Thema allerdings nicht. Schon 2002 hat der aus Schweden stammende Regisseur Joakim Demmer einen bedrückenden Dokumentarfilm namens “Tarifa Traffic” gedreht, in dem es um all das ging – um Schlepperbanden, um Seenotrettung, um Erstaufnahmelager. Tarifa ist ein Brennpunkt in dieser Hinsicht geworden.

Lust bekommen auf Tarifa?

OK, dann erst mal zwei touristische Apetizer-Links:

Die andere Seite der Medaille:

Auf YouTube gibt es auch eine Menge schöner Videos zu Tarifa. Aber bevor ich die alle verlinke, stelle ich euch lieber noch ein eigenes kleines Foto-Album zu Tarifa bereit. Ich war letzten Sommer (2017) dort, und ich hoffe, es wird nicht das letzte mal in meinem nicht mehr ganz kitesurf-digitalnomad-jungen Leben sein: