Sprachlos

Formulieren war eigentlich immer mein Ding. Schon als 12jähriger fiel ich in der Schule mit einem wildromantischen Schulaufsatz auf, in dem geschildert wurde, wie ein Schnellzug in eine Stadt einfährt. Später hat mir die Schreibe den Weg durchs Abitur und durchs geisteswissenschaftliche Studium erleichtert. Obwohl ich auf Programmierung umschulte, landete ich beruflich schließlich erst mal im Bereich Technische Dokumentation. Das hatte allseits bekannte Auswirkungen: SELFHTML. Eine Mischung aus Fachwissen und Vision, die zigtausende Menschen in ihren Bann zog, was mein eigenes weiteres Leben entscheidend beeinflusste. Unter anderem gehörte zu den Folgen eine Rosen-im-Asphalt-Liebesbeziehung, in der die Verführung durch Worte eine zentrale Rolle spielte. Wann immer es um Sprache ging, war ich nicht verlegen, sondern trug das Selbstbewusstseins eines anerkannten Meisters zur Schau.

In den letzten zwei, drei Jahren hat sich das jedoch geändert. Nicht, dass ich die Sprache und das Formulieren nicht mehr beherrsche. Aber ich bemerke eine schleichende Ausrottung an unverdächtigen Formulierungen. Ohne ständige verbale Selbstdistanzierung landet man immer häufiger in Schubladen, und zwar immer in den untersten. Auf dieses Schubladisiertwerden, das aus meiner Sicht ein Zeichen für verfallende Sprachsensibilität und damit für Kommunikationssensibilität ist, habe ich keinen Bock mehr. Der Umgang mit der eigenen Sprache, der mir immer so wichtig war, macht mir einfach keinen Spaß mehr, wenn ich es statt mit Diskutanten nur noch mit professionellen Meinungsverbreitungverhinderern (Schubladisierern) zu tun habe.

Ich verstumme also zunehmend wegen gefühltem Maulverbot. So wie viele andere Menschen. Und fresse alles in mich rein, ebenfalls so, wie viele Andere. Irgendwann wird sich das alles entladen müssen, und das wird nicht schön. Ich hoffe, dass ich bis dahin tot bin – bin ja immerhin schon 56. Freue mich aber auf jene Generationen, die das alles hinterher alles verstehen werden.