Neue Zivilisation über militärischen Ruinen

Es gibt so viele schlechte Meldungen derzeit, und wie viele davon haben mit Krieg zu tun! Und wie kriegslüstern viele Zeit- und Volksgenossen offenbar wieder sind, angetrieben von ebensolchen Artikeln in sogenannten Leitmedien, die einst die ideologisch wichtigen Begleiter der Entspannungspolitik waren! Da ist es vielleicht nicht verkehrt, mal etwas über eine moderne Vorzeigesiedlung zu berichten, die gerade aus einem großen ehemaligen Kasernengelände erwächst – nämlich die Südstadt-/Ebenbergsiedlung in Landau in der Pfalz.

Das Kasernengelände dort entstand um 1900 herum. Die Pfalz gehörte zu jener Zeit zum Hoheitsgebiet von Bayern. Landau war seinerzeit bereits das, was es mittlerweile wieder ist – nämlich eine „sehr kleine Großstadt“ und eine Boomtown. Damals war sie es wegen des Weinbaus. Landau schwimmt regelrecht in Wein und ist kilometerweit ringsum von Weinreben umgeben. Heute ist der Wein und vor allem der zugehörige Tourismus weiterhin ein wichtiges Anziehungsmoment, doch Landau ist mittlerweile trotz seiner nicht mehr als 45.000 Einwohner auch eine bedeutende Universitätsstadt und ein Wirtschaftszentrum – so residiert dort beispielsweise die Zentrale der Baumarktkette Hornbach. Unter der bayerischen Herrschaft war es jedoch keine Baumarktkette und keine Universität, sondern das Militär, das zusätzlich Bedeutung und Wohlstand in die Stadt brachte. Landau wurde eine Garnisonsstadt. Im Jahr 1913 „lagen hier vier höhere Stäbe, vier Bataillone, drei Maschinengewehrkompanien und fünf Artillerieabteilungen, die dem II b. Armee Korps in Würzburg unterstanden“ (Quelle).

Nach dem zweiten Weltkrieg gehörte die Südpfalz zur französischen Besatzungszone. Die Franzosen freuten sich über das große Kasernengelände in Landau und ließen sich dort nieder. Viele der dauerhaft stationierten Soldaten holten ihre Familien nach, und so entstand rund um das Kasernengelände allmählich eine „Cité de France“, ein eigener Stadtteil, wo nur Franzosen lebten, und wo man quasi mitten in Frankreich war. Immerhin entwickelten sich im Laufe der Jahre auch gute Kontakte zwischen einheimischer Bevölkerung und Besatzern – gar nicht unwichtig auch für die Entstehung der engen deutsch-französischen Freundschaft Kohl’scher Prägung, die letztlich zur zündenden Keimzelle der EU wurde.

Es war die Phase der Entspannungspolitik, die durch den Zusammenbruch der Sowjet-Union und ihrer Satellitenstaatenkontrolle nochmals großen Aufwind erfuhr und zum breiten gesellschaftlichen Konsens wurde. Deutschland schien geheilt. Ende des Jahrtausends zogen die Franzosen endgültig aus Landau ab, und das riesige Kasernengelände begann ungenutzt zu verwildern. Ein zeitgenössisches Mittel der Wahl, um solche großen Areale stadtplanerisch attraktiv zu gestalten und auch um finanzielle Ressourcen dafür zu generieren, sind Bundes- oder Landesgartenschauen. Landau bekam seine Landesgartenschau 2015, nachdem es 2014 nicht geklappt hatte, weil auf dem ehemaligen Kasernengelände, auf dem die Veranstaltung stattfinden sollte, bei den Aushubarbeiten immer wieder alte Fliegerbomben entdeckt wurden, die aufwändig entschärft werden mussten.

Die Landesgartenschau war für die Stadt ein riesiger Erfolg, und nun, im Jahr nach der Veranstaltung, läuft die Umgestaltung des Kasernengeländes auf Hochtouren. Niedrig-energetische Mehrfamilienhäuser in zeitgemäßer architektonischer Formensprache entstehen derzeit zwischen den alten Backsteinbauten der Kasernen. Letztere werden aber wohl nicht alle weichen. Einige sind durchaus kernsanierbar und werden ebenfalls zu attraktiven Wohneinheiten umbebaut. Der krasse architektonische Gegensatz beider Wonformen, eingebettet in die durch die Gartenschau entstandene Parklandschaft mit Freizeitsportanlagen, Kinderspielplätzen und inklusive hipper Schlemmer- und Weinverkostung im Kasernenlook lässt durchaus das Format einer neu entstehenden, eigentlich großstädtischen Siedlung erkennen. Allerdings auch zu großstädtischen Preisen. Wer sich in die neu entstehenden Wohneinheiten einkaufen will, muss kaum weniger tief in die Tasche greifen, als wenn es sich um Stuttgart oder München handeln würde. Entsprechend auch die Mietpreise, sofern die Wohneinheiten nicht zur Eigennutzung, sondern als Wertanlage erworben wurden. Bis zu 2000 Euro Monatsmiete für eine Vierzimmerwohung werden da schon mal verlangt. Ein paar hundert Meter zahlt man kaum ein Drittel davon für die gleiche Wohnfläche. Es handelt sich also bei aller Schönheit definitiv nicht um „sozialen“ Wohnungsbau. Die kleine Großstadt bekommt einfach ein neues Viertel für gutverdienende, grün angehauchte Universitätsprofessoren der Toskana-Fraktion, Hornbach-Manager und Weinkönige, die ihr Geld anlegen wollen/müssen.

Sieht man mal von diesem kapitalismus-immanenten Schönheitsfehler ab, ist es aber zumindest ein optisch ansprechendes Signal des friedlichen Siedelns über ehemaligem Kriegsunterstützungsgelände. Und die zivilisatorische Richtung, in die sich eigentlich alles entwickeln sollte, wenn nicht so viel Hass und so viel Wahn in so vielen Köpfen herrschen würde!