Anregung zu diesem Beitrag war die News Berners-Lee spricht sich für Netzneutralität und gegen DRM aus, die vor einigen Tagen im Heise-Ticker erschien. „Wenn er anderswo auf die US-Debatte hinweise, blicke er daher nur in fragende Gesichter“, wird Berners-Lee dort zitiert. In der Tat wird die Thematik hierzulande selbst von Insidern nur am Rande wahrgenommen. Der Grund ist, dass keine konkrete Bedrohung in Sicht ist. Doch ist das wirklich so? Und worum geht es da eigentlich genau?
„Netzneutralität … bedeutet, dass Zugangsanbieter (access providers) bei der Übermittlung von Datenpaketen an ihre Kunden keinen Unterschied machen, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben“. So lautet die zentrale Definition von Netzneutralität bei Wikipedia. Etwas anschaulicher geht ein Artikel der Süddeutschen Zeitung an das Thema heran: Vokabeln lernen: Netzneutralität, und das Tagesschau-Interview mit Barbara van Schewick ist ebenfalls lesenswert. Auch von Tim Berners-Lee selbst gibt es unzitierte Aussagen zum Thema. Im Blog-Eintrag Net Neutrality: This is serious lautet die zentrale Definition: „If I pay to connect to the Net with a certain quality of service, and you pay to connect with that or greater quality of service, then we can communicate at that level“.
Ein Grund für die Aufregung ist der immer weiter steigende Datenkonsum im Internet. Breitbandanschlüsse und Flatrates breiten sich zunehmend aus, und niemand achtet mehr darauf, wie viele Megabytes und Gigabytes er alltäglich an Datenverkehr im Internet generiert. So ist beispielsweise E-Mail, früher nur ein zusätzliches Kommunikationsmittel, längst zum Standard-Service für alltägliche geschäftliche und private Korrespondenz geworden. Aber auch Services, die traditionell nicht zum Internet gehörten, belasten die Datenleitungen immer intensiver: heute schon IP-Telefonie (Voice over IP), und in Zukunft wohl auch IPTV (Television over IP). Für all diese Services gelten jedoch die traditionellen Regeln des Internet. IP-Pakete, die von ihnen generiert werden, sind nicht mehr oder weniger wert als die IP-Pakete von Lillis Mail an John oder die IP-Pakete, die Timo durch seine WOW-Aktivitäten generiert. Man hat seinen Internet-Zugang, zahlt in der Regel dafür, aber wenn man sich dann darüber mit dem Netz verbunden hat, kann man ping-Kommandos absetzen, chatten, telefonieren, surfen, mailen, Dateien austauschen und alles was sonst noch geht. Einige Anbieter von Inhalten verlangen auch Geld für ihre Angebote, doch darum geht es hier nicht. Einige Firewalls lassen auch nicht alle Daten durch, doch darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass einige große Internet-Provider (vor allem auch Backbone-Provider) ein Interesse daran haben, dass IP-Paket nicht gleich IP-Paket ist. Oder dass IP-Pakete überhaupt nur noch dann vom Sender zum Empfänger gelangen, wenn beide eine extra zu bezahlende Dienstegüte (Quality of Service) abonniert haben.
Die Befürchtung geht dahin, dass die heute gefeierte Flatrate für den Internet-Zugang irgendwann nur noch Makulatur ist, weil man dann für E-Mails abhängig von der garantierten Zustellgeschwindigkeit extra zahlen muss, fürs Chatten einen Live-Zuschlag und für bestimmte Ego-Shooter-Spiele eine Verblödungsabgabe. Damit würde dann auch wieder steuerbar, was die Leute im Netz treiben. Erwünschtes Verhalten würde mit Vergünstigungen belohnt, unerwünschtes mit besonders hohen Abgaben gestraft. Und das ist keine Utopie, sondern wird in den USA bereits heftig diskutiert.
Grund genug also, die Netzöffentlichkeit zu bitten, die Ohren offen zu halten, damit sich, falls es ernst werden sollte, schneller, massenhafter Widerstand aus dem Netz gegen derartige Versuche formieren kann.