2019

Vor ziemlich genau einem Jahr postete ich – eigentlich fast eher nebenbei – weil ich es einfach nur interessant fand – auf Twitter ein Video, das gerade viral ging, und in dem ein mir bis dato unbekanntes junges Mädchen auf einer Klimakonferenz in Kattowice (Polen) der versammelten Politiker-Elite die Levithen las. Allerdings musste ich zugeben, dass mich die Rede dieses jungen Mädchens schon irgendwie berührte. In dem heißen Sommer 2018 hatte ich auf GooglePlus noch über Presse-Artikel gespottet, in denen von einer neuen „Heißzeit“ die Rede war. Ich fand diesen Ausdruck einfach lächerliche Panikmache. Ich hatte natürlich von Klimawandel und globaler Erwärmung schon gehört, aber es war kein Thema für mich. Im Gegenteil – ich ging eher frivol damit um, unter dem Motto „dann muss ich wenigstens nicht mehr auswandern, wenn das leckere Mittelmeerklima von alleine zu mir kommt“.

Nach der Rede des Mädchens, die ich mir mehrmals anhörte, wurde mir aber doch klar, dass ich das bis dahin alles viel zu naiv und egoistisch und gedankenlos gesehen hatte. In den darauffolgenden Wochen wurde ich sensibler für das Thema. Las mehrere Artikel dazu, die mich durchaus aufwühlten und nachdenklich machten. An einem dieser Tage ging dann plötzlich ein neues Video des gleichen Mädchens viral. Diesmal vom Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Was sie der dort versammelten Geldelite vor den Latz knallte, war schlichtweg atemberaubend. Das war neu, das war geil. Das Mädchen war einfach der Hammer.

Nun begann ich mich auch für sie persönlich zu interessieren. Las Artikel darüber, wie sie nach Davos mit dem Zug gefahren war, weil sie nicht fliegen wollte wegen der hohen CO2-Emissionen von Flugzeugen, und las auch erste Anfeindungen ihrer Person. Es war irgendwie ein spannendes Feld.

Von da an ging es Schlag auf Schlag. Mit jeder Woche wuchs ihr Ruhm, fast jede Woche gab es neue Ereignisse zu berichten. Plötzlich wurde klar, dass dieses Mädchen nicht nur Reden mit ungewöhnlichem Inhalt halten konnte, sondern auch eine Jugendbewegung gegründet hatte, die das Thema auf die Straßen trug. Schwedens Boulevard-Presse kürte sie zur Ikone. Als sie Ende Februar, Anfang März erstmals nach Deutschland kam, war gefühlt schon die halbe Nation infiziert und kannte sie. Jedoch stark polarisiert: die einen liebten sie, die anderen hassten sie. Dazwischen gab es nichts mehr. Höchstens fröhliche Uninformiertheit.

Da ich persönlich sprachsensibel bin, war jede Rede dieses seltsamen aber wunderbaren Mädchens eine neue Offenbarung für mich. So voll von klassisch-aphoristischen Pointierungen, mit so wenigen klaren Worten so demaskierend, und das alles vorgetragen mit so einer einmaligen Mischung aus spröder Schüchternheit und Kämpfergeist – da hab ich mehr als einmal feuchte Augen bekommen. Natürlich ging nicht nur mir das so. Aber kaum jemand spricht gerne offen darüber. Schon gar nicht als alter Knacker. Was soll man denn da sagen? Dass man irgendwie platonisch verliebt ist in dieses Mädchen, weil sie einfach so irre was drauf hat? Weil sie so viele längst vergrabene alte Hoffnungen in einem weckt, und dass dieser Treibhausgas-Scheiß vielleicht doch noch zu der gesellschaftlichen Revolution führen könnte, die man sich seit Jahrzehnten vergeblich erhofft hatte, und die man längst begraben hatte?

Dann der Amerika-Trip in der zweiten Jahreshälfte. Ein Husarenstück im Lichte des Kamera- und Öffentlichkeitsrummels. Stoff für mehrere Roadmovies. Und zwei Seamovies. Die Einfahrt in den Hafen von New York, mit Bildern so heftig wie Leonardo di Caprio und Kate Winslet am Bug der Titanic. Eine Rede vor der UN, in der die junge Berühmtheit noch eins draufsetzte und Grimassen des freundlichen Hasses schnitt, die man so noch nicht gesehen hatte. Welche Schauspielerin wird dieses legendäre „How dare you“ je mimen können?

Und sie entwickelt sich weiter. Lernt aus ihren eigenen Übertreibungen. Aber sie bleibt ein Phänomen. Vielleicht verglüht ihr Stern auch irgendwann. Was sie geschaffen und erreicht hat, ist aber längst nicht mehr rückgängig zu machen. Sollte die gegenwärtige menschliche Zivilisation diese Treibhausgas-Scheiße irgendwie überstehen, dann wird es in hundert Jahren in jedem noch so kleinen Kaff auf diesem Planeten eine Greta-Thunberg-Straße geben, eine Greta-Thunberg-Schule, und ein Greta-Thunberg-Denkmal. Ich bin froh, dass ich alter Knacker das noch live miterleben durfte, ganz ehrlich.

Greta Thunberg Is TIME’s 2019 Person of the Year
The climate activist has succeeded in turning vague anxieties about the planet into a worldwide movement calling for global change
time.com