Ich habe mich entschlossen, die Rede von Greta Thunberg, gehalten am 23. April 2019 vor dem britischen Parlament, mal ins Deutsche zu übersetzen, nachdem ich bislang keine Übersetzung gefunden habe und weiß, dass es viele Leute gibt, die von einem solchen Text doch mehr haben, wenn sie ihn in der eigenen Sprache lesen können. Ich hoffe, die Übersetzung enthält keine groben Fehler. Für kleinere entschuldige ich mich nicht, da ich kein Lindner-Profi bin was das betrifft.
Das Original ist übrigens hier zu lesen: You did not act in time
Ich bin Greta Thunberg. Ich bin 16 Jahre alt. Ich komme aus Schweden. Und ich spreche im Namen künftiger Generationen.
Ich weiß, dass viele von Ihnen uns nicht zuhören möchten – Sie sagen, wir sind doch nur Kinder. Aber wir geben nur wieder, was die versammelte Klimawissenschaft sagt.
Viele von Ihnen scheinen besorgt darüber zu sein, dass wir wertvolle Unterrichtszeit verlieren, aber ich versichere Ihnen, wir werden wieder in die Schule gehen, sobald Sie auf die Wissenschaft hören und uns eine Zukunft geben. Ist das zu viel verlangt?
Im Jahr 2030 werde ich 26 Jahre alt sein. Meine kleinere Schwester Beata wird 23 sein. So wie viele von Ihren Kindern oder Enkelkindern. Ein tolles Alter, hat man uns gesagt. Du hast dein ganzes Leben vor dir. Aber ich bin nicht so sicher, ob das so toll für uns werden wird.
Ich hatte das Glück, zu einer Zeit und an einem Ort geboren worden zu sein, wo uns alle dazu ermunterten, große Träume zu haben; Ich könnte werden was ich wolle. Ich könnte leben wo immer ich wollte. Leute wie ich würden alles haben was sie wollen, und noch mehr. Dinge, von denen unsere Großeltern nicht mal zu träumen wagten. Wir würden alles haben, was wir uns jemals wünschten und doch könnte es sein, dass wir nichts mehr davon haben werden.
Wahrscheinlich haben wir jetzt nicht mal mehr eine Zukunft.
Weil diese Zukunft verkauft wurde, damit ein kleiner Kreis von Leuten unvorstellbare Mengen von Geld machen konnte. Sie wurde uns jedes mal gestohlen, als Sie uns erzählten, nur der Himmel sei die Grenze, und dass wir alle nur einmal leben.
Sie haben uns angelogen. Sie haben uns falsche Hoffnungen gemacht. Sie haben uns erzählt, die Zukunft sei etwas, worauf wir uns freuen können. Und das Traurigste bei alledem ist, dass die meisten Kinder nicht mal eine Ahnung haben, welches Schicksal uns erwartet. Wir werden es nicht verstehen, bis es zu spät ist. Und doch sind wir die Glücklichen. Diejenigen, die am meisten betroffen sein werden, leiden schon jetzt an den Folgen. Aber ihre Stimmen bleiben ungehört.
Ist mein Mikrofon an? Können Sie mich hören?
Um das Jahr 2030, also in 10 Jahren, 252 Tagen und 10 Stunden, wird eine Situation eintreten, in der wir eine nicht mehr rückgängig zu machende Kettenreaktion in Gang setzen werden, die sich der menschlichen Kontrolle entzieht, und das wird höchstwahrscheinlich zum Ende der Zivilisation führen, wie wir sie kennen. Das wird passieren, wenn es bis dahin keine dauerhaften und einschneidenden Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen geben wird, einschließlich der Reduzierung der CO2-Emissionen um mindestens 50%.
Und bitte beachten Sie, dass diese Schätzungen auf Erfindungen vertrauen, die noch gar nicht im großen Maßstab erfunden worden sind, Erfindungen, von denen angenommen wird, dass sie die Atmosphäre von astronomischen Mengen an Kohlendioxyd befreien können.
Außerdem berücksichtigen diese Berechnungen keine unvorhersehbaren Kipp-Punkte und Rückkopplungseffekte wie das extrem starke Methan-Gas, das aus dem rapide auftauenden arktischen Permafrost entweicht.
Diese wissenschaftlichen Berechnungen beinhalten auch weder die bereits gespeicherte Erwärmung, die durch toxische Luftverschmutzung verborgen ist, noch den Aspekt der Gerechtigkeit – oder Klimagerechtigkeit – der, im Pariser Abkommen klar festgelegt, absolut notwendig ist, damit alles weltweit funktioniert.
Wir müssen uns im klaren darüber sein, dass das nur Berechnungen sind. Schätzungen. Das bedeutet, dass dieser “Zeitpunkt ohne Rückkehrmöglichkeit” sowohl vor als auch nach 2030 eintreten kann. Niemand kann ihn sicher vorhersagen. Aber wir können sicher sein, dass er etwa in diesem Zeitbereich eintreten wird, denn die Berechnungen sind keine bloßen Meinungen oder wilde Spekulationen.
Diese Voraussagen sind durch wissenschaftliche Fakten gestützt, und bekräftigt durch alle Nationen durch den IPCC [Anm.: www.de-ipcc.de]. Nahezu jede einzelne nationale Wissenschaftskörperschaft auf der Welt bejaht vorbehaltlos die Arbeit und Ergebnisse der IPCC.
Haben Sie gehört, was ich gerade gesagt habe? Ist mein Englisch in Ordnung? Ist das Mikrofon an? Weil – ich habe so meine Zweifel.
Während der letzten sechs Monate bin ich durch ganz Europa gereist, habe hunderte von Stunden in Zügen, elektrischen Autos und Bussen verbracht, und wiederhole diese lebenswichtigen Worte immer und immer wieder. Aber niemand scheint darüber zu reden, und nichts geschieht. Tatsächlich steigen die Emissionen weiter.
Als ich herumreiste, um in verschiedenen Ländern Reden zu halten, wurde mir immer Hilfe angeboten, um etwas über spezielle klimapolitische Themen des jeweiligen Landes zu schreiben. Aber das halte ich nicht für nötig. Weil das Grundproblem überall das gleiche ist. Und das Grundproblem besteht darin, dass einfach nichts getan wird, um den klimatischen und ökologischen Zusammenbruch zu stoppen – oder zumindest hinauszuzögern, trotz aller schönen Worte und Versprechen.
Großbritannien ist jedoch noch mal sehr besonders. Nicht nur wegen seiner vergangenen Kohlestoffschulden, sonden auch wegen seiner gegenwärtigen, äußerst kreativen Kohlestoffberechnung.
Seit 1990 hat der UK 37% Reduktion bei den CO2-Emissionen auf seinem Territorium erreicht, laut dem Global Carbon Project. Und das hört sich ziemlich beeindruckend an. Doch leider beinhalten diese Zahlen keine Emissionen aus der Luftfahrt, der Schiffahrt und solchen, die mit Importen und Exporten zusammenhängen. Zählt man diese Zahlen hinzu, bleibt eine Reduktion von etwa 10% seit 1990 – oder ein Mittelwert von 0,4% pro Jahr, laut Tyndall Manchester.
Und der Hauptgrund für diese Reduktion ist nicht etwa eine Klimapolitik, sondern eher eine EU-Richtlinie von 2001 zur Luftqualität, die den UK im wesentlichen zwang, seine sehr alten und extrem dreckigen Kohlekraftwerke herunterzufahren, um sie durch nicht ganz so dreckige Gaskraftwerke zu ersetzen. Und von einer katastrophalen Energiequelle auf eine etwas weniger katastrophale zu wechseln verringert halt auch die Emissionen.
Doch das vielleicht gefährlichste Missverständnis über die Klimakrise ist, dass wir unsere Emissionen “verringern” müssten. Denn das ist weit gefehlt. Unsere Emissionen müssen komplett gestoppt werden, um unterhalb von 1,5-2 Grad Celsius Erderwärmung zu bleiben. Das “Verringern der Emissionen” ist natürlich nötig, aber es kann nur der Beginn eines schnellen Prozesses sein, der zu einem vollständigen Emissionsstopp innerhalb weniger Jahrzehnte oder weniger führen muss. Und mit “Stopp” meine ich netto null – und dann schnell weiter in den Negativbereich. Das schließt Politik, wie sie heute betrieben wird, aus.
Die Tatsache, dass wir über “Verringern” statt über “Stoppen” von Emissionen reden ist vielleicht die größte Kraft hinter dem Immer-so-weiter-Machen-wie-bisher. Die gegenwärtigen Anstrengungen des UK, neue fossile Energiequellen zu erschließen – zum Beispiel die Schiefergas-Fracking-Industrie, die Erweiterung der Öl- und Gasfelder in der Nordsee, der Ausbau von Flughäfen und die Baugenehmigung für eine brandneue Kohlemine – sind jenseits von absurd.
Dieses andauernde unverantwortliche Verhalten wird ohne Zweifel als eine der größten Fehler der Menschheit in die Geschichte eingehen.
Die Leute erzählen mir und den anderen Millionen von Schulstreikern immer wieder, dass wir stolz auf uns sein sollten für das, was wir erreicht haben. Aber das einzige, worauf wir zu schauen haben, ist die Emissionskurve. Und die steigt leider nach wie vor. Diese Kurve ist das einzige, worauf wir schauen sollten.
Jedesmal, wenn wir eine Entscheidung fällen, sollten wir uns selber fragen, wie diese Entscheidung die Kurve beeinflussen wird. Wir sollten aufhören damit, unseren Wohlstand und Erfolg in einem Diagramm darzustellen, das wirtschaftliches Wachstum zeigt, sondern in einer Kurve, welche die Emissionen von Treibhausgasen zeigt. Wir sollten nicht mehr nur fragen: „Haben wir genügend Geld um das duchzuziehen?“, sondern ebenso: „Haben wir genügend von dem zu sparenden Kohenstoff-Bugdet, um das durchzuziehen?“ Das sollte und muss zum Zentrum unserer neuen Währung werden.
Viele Leute sagen, dass wir gar keine Lösungen gegen die Klimakrise haben. Und sie haben Recht. Denn wie sollten wir? Wie “löst” man die größte Krise, der die Menschheit je gegenüberstand? Wie “löst” man einen Krieg? Wie “löst” man die erste Fahrt zum Mond? Wie “löst” man das Erfinden neuer Erfindungen?
Die Klimakrise ist sowohl die leichteste als auch die schwierigste Angelegenheit, mit der wir es je zu tun hatten. Die leichteste, weil wir wissen, was wir tun müssen. Nämlich die Treibhausgas-Emissionen zu stoppen. Die schwierigste deswegen, weil unsere gegenwärtige Wirtschaft völlig abhängig ist vom Verheizen fossiler Brennstoffe, und dabei Ökosysteme zerstört, um ein ewiges wirtschaftliches Wachstum zu erzeugen.
„Also, wie genau lösen wir das?“, fragen Sie uns – die Schulkinder, die für das Klima streiken.
Und wir sagen: „Niemand weiß das sicher. Aber wir müssen aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, wir müssen die Natur wiederherstellen und viele andere Dinge, die wir noch gar nicht so richtig durchdacht haben“.
Dann sagen Sie: „Das ist aber keine Antwort!“
Also sagen wir: „Wir müssen anfangen, die Krise als Krise zu behandeln – und etwas tun, auch wenn wir nicht alle Lösungen haben.“
„Das ist immer noch keine Antwort“, sagen Sie.
Dann fangen wir an, Ihnen etwas über zirkuläres Wirtschaften und Renaturierung und die Notwendigkeit eines gerechten Strukturwandels zu erzählen. Dann verstehen Sie gar nicht mehr, worüber wir überhaupt reden.
Wir sagen, dass all die benötigten Lösungen niemandem wirklich bekannt sind, und dass wir uns deshalb gemeinsam hinter die Wissenschaft stellen müssen, um sie so zu finden. Aber Sie hören dabei nicht zu. Weil die Antworten zum Lösen einer Krise dienen, welche die meisten von Ihnen nicht mal in ihrem ganzen Ausmaß begreifen. Oder nicht begreifen wollen.
Sie hören nicht auf die Wissenschaft, weil Sie nur an Lösungen interessiert sind, die Ihnen erlauben, so weiterzumachen wie gewohnt. So wie jetzt. Und jene Antworten existieren nicht mehr. Weil Sie nicht rechtzeitig gehandelt haben.
Um den Klima-Kollaps zu verhindern, ist “Kathedralen-Denken” erforderlich. Wir müssen den Grundstein legen, obwohl wir noch nicht genau wissen, wie wir das Dach bauen müssen.
Manchmal müssen wir einfach einen Weg finden. In dem Moment, da wir uns entscheiden etwas zu erreichen, können wir alles tun. Und ich bin sicher, dass wir ab dem Moment, in dem wir anfangen uns zu verhalten wie in einer Notsituation, die Klima- und Ökokatastrophe verhindern können. Menschen sind sehr anpassungsfähig: wir können das noch richten. Aber die Gelegenheit dazu wird nicht mehr lange bestehen. Wir müssen heute anfangen. Wir haben keine Ausreden mehr.
Wir Kinder opfern nicht unsere Bildung und unsere Kindheit, damit Sie uns erzählen, was Sie für politisch möglich halten in der Gesellschaft, die Sie geschaffen haben. Wir sind nicht auf die Straße gegangen, damit Sie Selfies mit uns schießen können, und damit Sie uns erzählen, wie sehr Sie bewundern was wir tun.
Wir Kinder tun das, um die Erwachsenen aufzuwecken. Wir Kinder tun das für Sie, damit Sie Ihre üblichen Differenzen beenden und so handeln, wie Sie es in einer Krisensituation tun würden. Wir Kinder tun das, weil wir unsere Hoffnungen und unsere Träume zurück haben wollen.
Ich hoffe, das Mikofon war an. Ich hoffe, Sie konnten mich alle hören.